Populärer Besuch in unserer Kleingartenanlage
Folgendes habe ich hier (https://de-de.facebook.com/wigald.boning) gefunden und kopiert.
19.12.
Einhundertdreiundzwanzigste Nacht an der frischen Luft.
Kaum geschlafen. Gar zu aufregend, dieses Weihnachtsoratorium.
Anne Rathsfeld spielte in "Die Selbstanzeige" die geldgierige Ex-Frau von François Pignon, wir haben uns auf der Bühne des Schlossparktheaters herrlich fiese gestritten und mögen uns sehr. Heute fahre ich nach Plauen im Vogtland, um sie zu besuchen und auf der Bühne zu bewundern, in "Sonnenallee". Wir sind ähnlich alt, haben einen ähnlichen Blick auf die Welt, ich als Oldenburger mit DDR-Erfahrung (Free Jazz-Tourneen), sie als Brandenburgerin, die auch schon am Oldenburger Staatstheater engagiert war. Unsere Gesprächsthemen sind denn auch in erster Linie die deutsch/deutschen. Mit ihrem Freund Gilbert, Oberspielleiter am Vogtlandtheater, versuchen wir gleich zum zweiten Frühstück den Weg von Honecker zu Pegida zu erhellen, und anschließend gehen wir fünf Minuten in eine schmucke Schrebergartenkolonie, in der ein Plauener Theaterkollektiv eine Laube bewirtschaftet. Die dazugehörige DDR-Hollywoodschaukel lässt mich jubilieren. Da will ich die Nacht verbringen (immer wieder schleppe ich mein "Belleville"-Tarp mit, und nie kommt es zum Einsatz. Ist inzwischen so'ne Art Joker). Lieb, wie sich meine Gastgeber um mich sorgen ("Was, wenn ein Waschbär kommt?"), und ich werde fürsorglichst mit dem Laubenschlüssel behängt, "falls es doch zu ungemütlich werden sollte".
Sodann wird Plauen besichtigt. Im Malzhaus könnte ich mal die Einkaufszettel zeigen. Der Marktplatz duftet nach 1000 Hektolitern Glühwein, und im E.O. Plauen-Museum entdecke ich sogar einen Bezug zu Oldenburg. Julius Mosen, der Dichter des "Andreas-Hofer-Liedes", wurde nämlich hier geboren, starb jedoch an der Hunte. Ist ja ein amüsantes Spiel, diese Jagd nach Bezügen. Kempten-Kaliningrad, Nordhorn-Nairobi, oder eben Barockorchester-Campingplatz. Irgendwas findet man immer.
Am Theater verzaubern gleich zwei peruanische Panflöten-Ensembles unsere Ohren: Das eine hat sich mit eher nordamerikanisch anmutenden Federschmucken herausgeputzt, das andere spielt Weihnachtslieder im Anden-Arrangement. Endgültig feucht werden meine Augen 100m weiter: Vor der Kirche des Rathauses gab es ab dem 7. Oktober 1989 die erste Demo gegen die DDR, gegen welche die Staatsmacht nicht einschritt. Eine Gedenktafel neben der Kirchentür erinnert an "ungezählte Kerzen des Widerstandes und der Hoffnung", aber die Tür ist verschlossen - wie so oft im gottlosen "Abendland" (Zwinker-Smiley). Die "Bier-Elektrische", eine Party-Tram, überfährt mich fast. Zu müde für gefahrloses Flanieren. Das war knapp. Jetzt sind meine Augen nicht mehr feucht, sondern nass.
Ein schönes Plus dieser heimeligen Stadt: sie gönnt dem Panoramafreund viele wunderbare Weitblicke auf die sanften Höhenzüge des Vogtlandes.
Nach dem Abendessen ("Du sollst wenigstens satt werden, wenn du schon draußen schläfst") geht's ins Theater. Ich der einzige Wessi im Parkett mit Ethnologenblick. Alles gut umgesetzt. Anschließend im "Mañana" - das ist hier, was L'Osteria in Salzburg ist.
1:19 In meiner Hollywood-Schaukel. Phantastischer Sternenhimmel. Mond überm Horizont, halb versackt, feucht umhoft. In der Ferne schreit ein Besoffener "Stirb du Jude!" Armes, altes Abendland. Wo sind eigentlich meine Ohrenstöpsel? Die Schaukel schwingt elegant hin und her. Federung! Die bequemste Liegestatt seit Monaten. Jetzt singt der Schreihals "Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben", und seine Kumpels stimmen ein: "Schananananana". Wird lauter. Kommen die etwa zu mir?

Einhundertvierundzwanzigste Nacht an der frischen Luft.
Gröhl. Kommen die Besuffskis näher? Um ein Kennenlernen zu vermeiden, verdunkele ich mein Wischfon. Nach bangen Minuten wanken die Wanker weiter Richtung Innenstadt. Als Ruh' eingekehrt ist, wird mir das ganze monumentale Ausmaß meines Glücks bewusst: eine Liegefläche mit Drahtfederung - das ist fürwahr ein fürstlicher Luxus. Kaum kann ich einschlafen, so genieße ich die Elastizität meiner Bettstatt. Hatte ich nie vermisst, solch ein Federelement, nie hatte ich meine LuMa "hart" gefunden, aber, Freunde, wenn man denn draufliegt, ist der Unterschied signifikant. Vollends dekadent wird's durch die Hollywood-Schaukelei. Fühlt sich an, als sei man ernsthaft berauscht. Ich träume von Sex mit Helen Mirren, die als zweidimensionale Schwarz-Weiß-Figur (mit der Nagelschere aus einer alten Tageszeitung ausgeschnitten) durch eine ansonsten zeitgenössische Umgebung geistert. Ich habe mich übrigens noch nie eingehend mit ihr und ihrem Werk beschäftigt. Ich kenne sie eigentlich nur aus "Der Koch, der Dieb, seine Frau..." und als QE2. Im Traum war sie vollkommen vergreist und trug eine Liftboy-Uniform aus den zwanziger Jahren.
Alle zwei Stunden werde ich wach und lasse die Federung freudig quietschen. In diesem Zusammenhang fällt mir erst die himmlische Ruhe so richtig auf. Man hört nur sehr leichte Windgeräusche, ab und zu ein Laubblatt, das seine Liegepostion ändert. Ansonsten: Adventliches Schweigen allüberall. Wie eine sehr kostbare Nachtcreme, die man mit zartem Finger dünnst aufträgt. Auch als es hell wird, bleibt die glamouröse Stille. Plauen: The Place to be. Mein Schlafsack ist triefend taubedeckt und riecht nach nasser Gans. Vor den Shetlandinseln sollte ich ihn nochmal zum Waschsalon bringen. Ein Esbit-Kaffee mit Vogtlandblick, dann schlendere ich hinüber zu Anne und Gilbert. Opulentes Frühstück bis mittags. Wenn ich wieder häuslich geworden bin, so beschließe ich, kammama zur Abwechslung voll den Bürger raushängen lassen, mit Louis-seize-Standuhr und Stoffserviettenring. Das passt auch zum Bakelit-Fernsprecher, den ich auf den Sekretär im Kontor stellen werde (bisher war ich immer eher der lässige Typ, mit Fototapete und so). ....

